April 2009 Archives

Testosteronkälber

Der Titel Stalker (Diogenes) erzählt bereits die Geschichte: In New York beschattet ein Mann eine junge Frau, die er aus der gemeinsamen Schulzeit kennt. Er sich ein  bildet sich ein, dass diese Katie die einzig wahre Liebe in seinem Leben ist. Er beobachtet sie wochenlang und beseitigt alle vermeintlichen Rivalen, die seinem großen romantischen Liebesglück im Weg stehen. Er muss nur noch die Angebetete davon überzeugen, dass sie ihn heiraten wird.... Das alles hat eine ziemlich lange Anlaufzeit. Jason Starr schildert ausführlich die Dauerjagd der jungen schicken  College-Abgänger nach  einem befriedigenden Sexpartner, was offenbar der einzige Lebensinhalt dieser hirnlosen  Testosteronkälber zu sein schient. Man braucht einen guten Magen für die durchgängig sexistische Perspektive, aus der potentielle Gespielinnen und Gespielen geschildert werden, wobei auf die körperlichen Defizite junger Frauen besonders ausführlich Bezug genommen wird. Die manische Suche nach One-Night -Stands wird recht langwierig, möglicherweise schwebte dem Autor ja auch so etwas wie Ironie vor. Wird Katie dem Ödipuskomplexler entkommen? Wie auch immer, für den Strand geeignet, kann man aber ohne Trennungsschmerz im Hotelzimmer „vergessen".


Worüber man nicht sprechen kann

Abhängigkeiten, Besessenheiten, Lebenslügen, Wut und Verdrängung, aus diesem explosiven Gemisch besteht die subtile Psychostudie Das Brautkleid  (DVA) von Paule Constant. Der Leser steigt ein, als schon alles vorbei ist. Es gibt Angeklagte, deren Anwälte und eine Richterin, Gegenrede, Verteidigung und jede Menge Erinnerungen und Erklärungen, die eine allwissende Erzählerin voraussetzen. Ein makabres Bild steht am Ende des Romans. Eine Frau, halb bewußtlos liegt in ihrem Brautkleid in einer überfließenden Badewanne. Daneben eine Sporttasche mit der Leiche ihres ermordeten Kleinkindes. Die Richterin hat, abgesehen von den für sich sprechenden Fakten, zusätzliche Vorurteile gegenüber der Angeklagten. Diese Catherine, eine verwöhnte, vom Glück begünstigte Tochter aus gutem Hause hat ihren Ehemann umbringen lassen, weil der sich eine Geliebte genommen und mit dieser ein Kind gezeugt hat. Wie hat sie den Mörder instrumentalisiert oder hat nicht vielmehr dieser Gewalttäter
eine verzweifelte Frau von sich abhängig gemacht? Hätte Catherine nicht merken müssen, dass Jeff mit einer erfundenen Biografie auf die Tränendrüsten drückt? Welche Rolle hatte die Jugendfreundin aus der Unterschicht in diesem Machtspiel? Was kann man überhaupt mitteilen, wo endet jede Kommunikationsbemühung und wie nimmt die Geschichte Catherines Einfluss auf das Leben der Richterin und der Anwälte? Kein Text für Krimiverschlinger - hier herrscht eher Reflexion als Action.

Vergebliche Recherche

Wäre das ein Krimi, dann könnte der Autor mit so einem unglaubwürdigen Plot unmöglich punkten: in Vöklabruck im Jänner 2008 eine Frau gesichtet, die barfuß und nur mit Unterwäsche bekleidet durch die Stadt geht. Man findet ihre nackte Leiche im Fluss. Spuren von Medikamenten gegen Krankheiten können nachgewiesen werden, an denen die Frau jedoch nicht gelitten hat. Dennoch: man schließt den Fall mit ungebührlicher Hast. Die slowakische Pflegerin hat nach Ansicht der Polizei Selbstmord begangen. Ein einfache Lösung, selbst auf dem Totenschein steht ein falsches Datum.
Aber das ist keine fiktionale Geschichte, sondern ein realer Tod, dem der Journalist Martin Leidenfrost nachgeht. Und um es vorwegzunehmen: Leidenfrost ist kein keine scharfsinniger Amateurdetektiv, der  einen „Fall" löst. Der 29jährigen Toten, die einen anstrengenden Job angenommen hat, den in Österreich zu wenige machen wollen, gebührt mehr Aufmerksamkeit, mehr Achtung. Die ist ihr nicht zuteil geworden, weil sie eine Ausländerin war, meint Leidenfrost und damit liegt er wohl nicht falsch. Er beschäftigt sich mit dem Lebensweg der Denisa S. und besucht deren Heimatdorf in der Slowakei. Die Beschreibung der Landschaft und der Lebensweise der Menschen dort, die einem anderen Jahrhundert anzugehören scheint, entfaltet beträchtliche Sogwirkung, sodass man den tragischen Anlass der Recherchen fast vergessen könnte. Allerdings ist hier nicht wirklich von Nostalgie die Rede, sondern von der Armut unter den Roma, die einen Teil der Dorfbevölkerung stellen und von den Träumen der  aus einer „weißen" Familie stammenden Denisa S., aus dieser Armut auszubrechen und mit einem Job in Österreich so viel Geld zu verdienen, dass sie sich irgendwann ein kleines Haus bauen kann. Leidenfrost besuchte auch die Familie, bei der Denisa angestellt war und schildert die Isolation des alten Ehepaars. Sie wisse von nichts gibt die Frau des Pflegefalls Bescheid. Die Bekannten aus der Slowakei, die wie Denise  ebenfalls in Österreich als Pflegerinnen tätig sind, können oder wollen auch nicht weiterhelfen. Alle vagen Hinweise enden in Sackgassen.
Es ist eine entmutigende Mühsal, der sich der sich der Autor unterzieht, hartnäckig um vorurteilslosen Zugang bemüht, immer wieder neuen Spuren nachforschend. Die Tote im Fluss (Residenz Verlag) ist  das bewegende Dokument des Versuchs, einer Toten die Würde zurückzugeben.

Das Grauen in den Wäldern

Achtung: grauenerregend! Auf dem Klappentext von William Gays Roman Nächtliche Vorkommnisse (Arche) steht, dass man das Werk unter Southern Gothic zu subsumieren hätte. Dieses Etikett ist mehr als verdient, wovon man sich schon auf der allerersten Seite überzeugen kann, die eines der späteren „Vorkommnisse" vorwegnimmt. Dann Auftritt einer Hauptfigur: Ein nekrophiler Bestatter, der nicht nur nekrophil im „herkömmlichen" Sinne ist, sondern sich auch noch damit vergnügt, seine wehrlosen Kunden in allen nur möglichen anstößigen Posen zu bestatten, ist schon etwas mehr als ein Splatter-Butzemann. Ein Geschwisterpaar  kommt ihm auf die Schliche, und beschließt, ihn zu erpressen. Der Bestatter heuert einen irren Gewalttäter an, um die erpresserischen Jugendlichen umzubringen. Das Mädchen kommt auch tatsächlich bei der Flucht um, ihre Leiche fällt dem Bestatter in die Hände, dem es nicht wirklich etwas ausmacht, dass er das Mädchen, das er schon als Lebende besitzen wollte nun eben erst als Tote für sich hat.
Der Junge ist allerdings zäher als gedacht. Nachdem er erst einmal die Bude seines Verfolgers angezündet hat bekommt dieser noch mehr Rachedurst. Das alles spielt sich 1951 im tiefsten Hinterland von Tennessee ab, wo sich ausser ein paar Holzhäusern nur Wald  befindet, in dem ein paar Geistersiedlungen der ehemaligen Bergarbeiter in sich zusammenfallen. Die Natur hat die Zivilisation mit Leichtigkeit abgeschüttelt. Da und dort hausen noch bewaffnete, schrullige oder völlig verrückt gewordene Einsiedler, von denen nicht viel Hilfe zu erwarten ist. In diesen bösen, überwucherten, unterminierten und kalten Landstrich flüchtet Tyler in der Hoffnung, einen Sheriff zu finden, der ihn unterstützt und nicht auf der Seite des perversen Leichefledderers steht. Das klingt alles sehr spekulativ, nach Gruselerzeugung um jeden Preis. Dagegen stehen aber die Sprache und die überwältigenden Bilder der Einsamkeit, der gnadenlosen Wildnis, eine Metapher für die Wüstenei in den Seelen. Hier hat die Natur nichts Tröstliches, sie ist gewalttätig und sie macht auch die Menschen, die in ihr vegetieren, zu Gewalttätern. Es ist ein phantastisch düsterer Text, ein Entwicklungsroman, beängstigend und faszinierend, völlig kompromisslos und leuchtet fahl in einem unverwechselbaren Kolorit.
William Gay, geboren 1943, Vietnamveteran und Gelegenheitsarbeiter hat erst 1999 zu veröffentlichen begonnen; er lebt in den „Wäldern von Tennessee" und wird zu Recht mit Größen wie Cormack McCarthy verglichen.

Zu dick aufgetragen

„Ich habe von Natur aus schön geschwungene Brauen. Zu Hormonen habe ich bisher nicht gegriffen und will es auch nicht. Ich gefalle mir nicht nur als Frau, sondern auch als Mann. Die Enthaarung dagegen muss eben immer wieder sein." So stellt sich der Ich- Erzähler/ die Ich-Erzählerin in Mehmet Murat Somers Krimi Die Propheten-Morde (Tropen) vor. Er/Sie ist Teilhaber eines Nachtclubs für Transvestiten in Istanbul, ein Kampfsportass und noch dazu ein Computerspezialist. Ganz schön dick aufgetragen, fast so wie die Schminke der Transen, wenn sie nachts auf Paradiesvogel machen. Ein Serienmörder scheint es darauf abgesehen zu haben, diese ganzen verworfenen Geschöpfe ins Jenseits zu befördern. Jedenfalls freut sich ein Eiferer im Chatroom über den Killer, den Schreiber spürt  der Erzähler aber bald auf. Der Kerl erweist sich als verkappter Homosexueller, der im Rollstuhl sitzt und auf masochistische Praktiken steht, wohl kaum der gesuchte Mörder, aber der typische Verdränger, der sich vor seinen eigenen Begehrlichkeiten fürchtet. Somers Krimi wäre in all seiner Oberflächlichkeit, die an einen Werbespot erinnert, nicht weiter bemerkenswert, lebte der Autor nicht in der Türkei, wo nicht nur religiöse Fanatiker wenig Verständnis für abweichende Lebensformen haben. So nimmt es nicht Wunder, dass der Autor für seinen harmlosen, überzeichneten Roman, der kaum irgendeinen Bezug zur Realität hat, zunächst keinen Verlag fand. Doch jetzt sind seine dauerübertriebenen, plappernden Transvestiten-Krimis ein Renner. Somer hat eine Marktlücke entdeckt und war so mutig, diese auch zu bedienen. Man gönnt es ihm ja.

Gift im Catering

Das Duo Dick Francis und Sohn scheint einander gut zu ergänzen. Der betagte Ex-Jockey wurde früher beim Schreiben durch seine inzwischen verstorbene Frau Mary unterstützt, nun ist sein Sohn Felix an ihre Stelle getreten. Abgebrannt (Diogenes) erzählt die Geschichte des Haubenkochs Max, der in der Nähe der Rennbahn von Haymarket ein angesagtes Lokal betreibt. Fatalerweise wird Dutzenden Gästen nach einem Catering, das Max für die betuchten Rennbahngäste organisiert hat, kotzübel. Auch Max selbst hat sich eine Lebensmittelvergiftung zugezogen und sein Lokal wird von den Behörden vorübergehend geschlossen. Am nächsten Tag geht in der Paradeloge von Haymarket während eines Rennens eine Bombe hoch. Max, der auch für diesen Tag engagiert worden war, bleibt unverletzt, aber es gibt Tote und Schwerverwundete. Die Nachforschungen wegen der seltsamen Lebensmittelvergiftung scheint jemand zu beunruhigen, Max erlebt jedenfalls lauter merkwürdige Unglücksfälle. Erst versagen die Bremsen seines Autos, dann brennt sein Cottage ab, nachdem jemand die Batterien aus dem Rauchmelder entfernt hat. Irgendwie scheint das alles mit einer speziellen Form des Pferdehandels zu tun zu haben, in den ein mysteriöser Russe verwickelt ist. Ein solider Krimi alter Tradition und eine nette Verbindung von Gourmet und Turf, -  das kann man sich schon schmecken lassen.

 

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