Das Grauen in den Wäldern

Achtung: grauenerregend! Auf dem Klappentext von William Gays Roman Nächtliche Vorkommnisse (Arche) steht, dass man das Werk unter Southern Gothic zu subsumieren hätte. Dieses Etikett ist mehr als verdient, wovon man sich schon auf der allerersten Seite überzeugen kann, die eines der späteren „Vorkommnisse" vorwegnimmt. Dann Auftritt einer Hauptfigur: Ein nekrophiler Bestatter, der nicht nur nekrophil im „herkömmlichen" Sinne ist, sondern sich auch noch damit vergnügt, seine wehrlosen Kunden in allen nur möglichen anstößigen Posen zu bestatten, ist schon etwas mehr als ein Splatter-Butzemann. Ein Geschwisterpaar  kommt ihm auf die Schliche, und beschließt, ihn zu erpressen. Der Bestatter heuert einen irren Gewalttäter an, um die erpresserischen Jugendlichen umzubringen. Das Mädchen kommt auch tatsächlich bei der Flucht um, ihre Leiche fällt dem Bestatter in die Hände, dem es nicht wirklich etwas ausmacht, dass er das Mädchen, das er schon als Lebende besitzen wollte nun eben erst als Tote für sich hat.
Der Junge ist allerdings zäher als gedacht. Nachdem er erst einmal die Bude seines Verfolgers angezündet hat bekommt dieser noch mehr Rachedurst. Das alles spielt sich 1951 im tiefsten Hinterland von Tennessee ab, wo sich ausser ein paar Holzhäusern nur Wald  befindet, in dem ein paar Geistersiedlungen der ehemaligen Bergarbeiter in sich zusammenfallen. Die Natur hat die Zivilisation mit Leichtigkeit abgeschüttelt. Da und dort hausen noch bewaffnete, schrullige oder völlig verrückt gewordene Einsiedler, von denen nicht viel Hilfe zu erwarten ist. In diesen bösen, überwucherten, unterminierten und kalten Landstrich flüchtet Tyler in der Hoffnung, einen Sheriff zu finden, der ihn unterstützt und nicht auf der Seite des perversen Leichefledderers steht. Das klingt alles sehr spekulativ, nach Gruselerzeugung um jeden Preis. Dagegen stehen aber die Sprache und die überwältigenden Bilder der Einsamkeit, der gnadenlosen Wildnis, eine Metapher für die Wüstenei in den Seelen. Hier hat die Natur nichts Tröstliches, sie ist gewalttätig und sie macht auch die Menschen, die in ihr vegetieren, zu Gewalttätern. Es ist ein phantastisch düsterer Text, ein Entwicklungsroman, beängstigend und faszinierend, völlig kompromisslos und leuchtet fahl in einem unverwechselbaren Kolorit.
William Gay, geboren 1943, Vietnamveteran und Gelegenheitsarbeiter hat erst 1999 zu veröffentlichen begonnen; er lebt in den „Wäldern von Tennessee" und wird zu Recht mit Größen wie Cormack McCarthy verglichen.


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