Juni 2009 Archives

RätselhafteTodesfäle, diesmal echt

Es ist ein bisschen wie mit den US-Juristen: Jeder, der einen Satz schreiben, oder schreiben lassen konnte, hat irgendwie einen Krimi zustande gebracht. Herausgekommen ist dabei allzuoft ein fades Rededuell im Gerichtssaal und man hatte mitunter den Eindruck, dass die imaginär glänzend gelösten Fälle und erfolgreichen Verteidigungen als Kompensation für nicht ganz so geglückte berufliche Laufbahnen herhalten mussten. Nun erreicht uns seit geraumer Zeit die Welle der "authentischen" Memoiren „echter" Rechtsmediziner, ursprünglich ausgelöst durch die Krimis von Patricia Cornwell und andern erfolgreichen AutorInnen, die ihren primären Beruf  auf einer Zweitschiene zu Geld machten.
Einer davon ist der deutsche Rechtsmediziner Michael Tsokos, der in Dem Tod auf der Spur (Ullstein) zwölf ungewöhnliche Fälle, die bei ihm auf dem Sektionstisch landeten, beschreibt. Und er macht das gut, unaufgeregt, unspekulativ und mit mildem Spott über die Klischees, die über seine doch düstere Profession herumgeistern. Man lernt hier eine Menge naturwissenschaftlich-medizinischer Fakten, bekommt zum Beispiel erläutert, wieso sich Erfrierende manchmal splitternackt ausziehen oder woran man erkennt, dass ein Brandopfer noch gelebt hat, als das Feuer ausbrach. „Suizidales Höhlenverhalten" wird ebenso erklärt, wie der Unterschied zwischen einem Rechtsmediziner und einem Pathologen. Bizarr sind die zunächst rätselhaften Tode allemal: ermordete Zuhälter, die vor  ein Auto geworfen wurden, um einen Verkehrsunfall vorzutäuschen, grausam ausgeklügelte Selbstmordszenarien, Jagdunfälle, die wie ein Mord aussehen und Leichen, die hundert Jahre nach ihrem Tod aus einem See auftauchen. Eines ist sicher: noch mehr solche Berichte und es wird für schlampig recherchierende Krimiautoren immer schwerer, glaubwürdig zu wirken.

Das Letzte, aber lustig

Eine seltsame Mischung ist das schon: Ken Bruen, der wortkarge Ire aus Galway und der leicht ins Geschwätzige abgleitende Jason Starr als Autorenpaar. Rein äußerlich liebäugelt die Reihe hardcase crime des Rotbuch Verlags mit den Schundhefteln ehrwürdigen Angedenkens. Das Cover entspricht diesfalls dem was drin ist. Crack hat ein Personal, das wirklich das Letzte ist: Ein süchtiger Dealer im Größenwahn, dessen davongelaufene Gespielin, die sich mit einem irischen Psychopathen zusammentut, eine weitere zweifelhafte Dame, die die Sexsklavin des Dealers wird, ein bescheuertes Landei, das sich als Drogenlieferant versucht und dem am Ende ein entscheidendes Teil fehlt. Das kann nicht ernst gemeint sein und ist es auch nicht. Das unheilige Schreiberduo treibt mit Entsetzen Scherz, die Sprache ist entsprechend drastisch und voll tiefschwarzen „Humors". Ein Splatter-Movie zwischen Buchseiten, garantiert pc-frei. Man hat trotzdem sehr gelacht.
Übrigens: von Ken Bruen erscheint Ende August des famose irische  Krimi Jack Taylor fliegt raus (Atrium Verlag) in der Übersetzung von Harry Rowohlt, ein Leckerbissen für Anspruchsvolle!

Nachtschwarz

Wie mans auch dreht und wendet: die Geschichte ist in jeder Hinsicht widerlich. Gekonnt geschrieben, spannend und aktuell ist Sprengkraft (grafit) von Horst Eckert jedenfalls. Widerlich, weil sie in die abstoßenden Denkwelten islamischer Fundamentalisten eintaucht, aber Einseitigkeit kann man dem Autor wahrlich nicht vorwerfen. Die Ordnungskräfte mitsamt ihrem halb und ganz geheimen Anhang sind auch nicht besser. Und schon gar nicht die Politik. In die gerät der PR-Profi Moritz Lemke durch Zufall hinein. Endlich ein fester Job! Dass er ausgerechnet für eine rechte Partei, genannt Die Freiheitlichen die Werbetrommel rühren soll, irritiert ihn nicht allzu lange. Zwar sind die dubiosen Geldgeber aus der Industrie allesamt verkappte Faschisten, die Nazi-Souvenirs sammeln, aber die junge dynamische Vorsitzende Carola Ott ist doch wirklich vorzeigbar in ihrer Rebellion gegen die verzopften Altparteien. Als sie in einem TV-Auftritt über die Moslems herzieht, kommt ein Bombenattentat, besser, ein Unfall wie gerufen. In einer Düsseldorfer Moschee sterben Menschen. Der Sprengstoff ist offensichtlich zu früh hochgegangen. Man scheut sich auf einmal, die Parteivorsitzende ins rechte Eck zu stellen, denn die Öffentlichkeit sich nun einig: man hat die Fanatiker viel zu lange toleriert, eine härtere Gangart ist angebracht. Dass bei dem Attentat einiges nicht stimmig ist, wird nicht hinterfragt, zumal Pläne zur Sprengung eines Kinocenters gefunden werden. Horst Eckert nimmt in etlichen Details deutliche Anleihen bei der Realität- auch der österreichischen- was die Legendenbildung über Politiker angeht, die bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen. Politik und Terror, Manipulation und die Verlockungen der Macht werden anschaulich vorgeführt, aber auch das Scheitern, Menschen aus einem System abzuholen, das sich seit vielen Jahrhunderten nicht mehr weiterentwickelt hat. Ein vielstimmiges, durch und durch pessimistisches Buch. 

Schlank und schnell

Ein Universitätslehrer, der sich für die jüngere Vergangenheit interessierte wird umgebracht.  Gleichzeitig verschwindet ein Nachbar, mit dem er immer zusammen joggen war. Eine neu entwickelte Software zerstört sich selbst, eine aggressive Frau, die mit dem Toten ein Verhältnis hatte gerät in Verdacht und rundum herrscht Verwirrung. Der Schotte Iain McDowall setzt in Gefährliches Wiedersehen (dtv) auf volle Konzentration. Schnelles Zappen zwischen den Personengruppen und Orten verlangt einen einigermaßen wachen Lese-Geist. Wird also eher für die Vormittage am Pool empfohlen, zumal der Krimi einer von den Schlanken ist (nur 254 Taschenbuchseiten).

Blutige Schlingpflanzen

Alexeij Volkowoj ist ein Überlebender des Tschetschenienkriegs, produziert Pornos in Moskau und ist diversen Unterweltbossen zu  Diensten. Ausserdem  hat er sich mit Mitgliedern der Politkaste arrangiert und führt diverse heikle Aufträge für sie aus. Die bestehen meistens in martialischen Begegnungen,  die der Held, der seit dem Krieg eine Beinprothese trägt, mehr oder weniger unversehrt übersteht. Brent Ghelfi will in seinen Thriller Im Schatten des Kreml (Heyne) einfach zu viel hineineinpacken. Die geheimen Kämpfe der USA, Rußland und Chinas um die Ölreserven und ihre Transportwege, die logischerweise in die Fehden gegen die Kaukasusvölker münden, bilden den Hintergrund für die Jagd nach einem Video. Darauf ist zu sehen, wie russische Soldaten tschetschenische Gefangene bestialisch foltern und umbringen. Jemand scheint die Folterer auf einem Rachefeldzug zu eliminieren. Ein Terroranschlag in Moskau, der angeblich von Tschetschenen ausgeführt wurde bildet den Anfang des turbulent verwirrenden Thrillers. Ein von einem verrückt gewordenen Soldaten entführtes Mädchen und zuguterletzt noch die Suche nach einem der legendären Faberge-Eier die für die Zarenfamilie hergestellt wurden, führen Alexej in die wüsten Bergregionen, „wo sich Kreuz und Halbmond wie blutige Schlingpflanzen ineinander" verheddern. Was die Dauerkrise und ihren historischen Hintergrund in Tschetschenien anlangt - das hat Leif Davidsen in Der Russe aus Nizza (Zsolnay) weit besser hingekriegt.
 

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