April 2010 Archives

Büro-Zombies

  Es gibt süchtige Leser, die mögen Bücher in der Dicke von Ziegelsteinen. So richtig in eine imaginäre Welt einzutauchen braucht ordentlich Stoff. Dick ist der Roman von  Enrique Cortes schon, nämlich über 600 Seiten, allerdings schwindet die Bereitschaft, sich auf  diese seltsame Mischung aus Thriller, Fantasy, Krimi und Horror einzulassen, spätestes ab der Mitte. Der 26.Stock (dtv premium)  will alles zugleich sein und das ist fatal. Zunächst begegnen wir Angestellten in einem Madrider Bürohochhaus, die sich mit den üblichen Rangkämpfen und ihren fragmentierten Aufgabengebieten herumschlagen. Einige werden ganz plötzlich in die oberen Chefetagen versetzt, verschwinden spurlos oder haben angeblich Selbstmord begangen. Das macht Isabel, zuständig für die Auswahl von Personal und die Führung von Einstellungsgesprächen, neugierig. Das bekommt ihr und ihren Freunden nicht gut. Im obersten Stockwerk geht etwas Merkwürdiges vor und wer da oben landet, kommt offenbar nicht mehr zurück. Als ob ein global agierender Konzern von dem niemand weiß, was er eigentlich macht, nicht schon unheimlich genug wäre, wird der 27. Stock  auch noch mit diversen Geistererscheinungen, Zombies und Esoterik-Unfug aufgebrezelt. Das bewährte Muster David gegen Goliath wirkt auch hier als Karthasis, der Lustgewinn ist überaus mäßig.

Das verhängnisvolle T-Shirt

  Nicht, dass es um den Mann schade gewesen wäre, der da mit durchschnittener Kehle in seiner Wohnung in Reijkavik liegt. Nach allen Spuren, die die Kriminalpolizei findet, hat es sich um einen routinierten Vergewaltiger gehandelt, der in angesagten Bars Frauen ansprach, ihnen KO-Tropfen in die Getränke kippte um sie dann zu seiner Wohnung zu transportieren. Dennoch, Mord ist Mord und Kommissarin Elinborg fragt sich, warum der Verbrecher, seine eigene Vergewaltigungsdroge im Blut hatte und das T-Shirt einer Frau trug. Da war wohl ein Rächer unterwegs. Elinborg findet schließlich eine junge Frau, die in der Wohnung gewesen sein muss und ihren Vater. Beide behaupten erst, den Mann nicht umgebracht zu haben, dann schwenkt der Vater um und  gesteht den Mord, weil auch seine Tochter plötzlich geständig ist, um ihren Vater zu schützen. Reichlich verwirrend und Elinborg ist überzeugt, dass diese Geständnisse so oder so nicht der Wahrheit entsprechen. Der Isländer Arnaldur Indridason ist diesmal auf eine private Geschichte fokussiert. In seinen früheren Krimis hat er oft auch (innen)politische Themen angesprochen. Frevelopfer (Lübbe) ist ein intimerer Text, in dem neben dem Verbrechen auch die aufreibende Lebenssituation Elinborgs zwischen Familie und Job breiten Raum einnimmt.

Wer nichts zu verbergen hat...

  Der Weg in die totale Überwachungsgesellschaft ist nicht mehr weit. Schutz oder Bedrohung? Das ist eine Frage der Perspektive. Damit  die Überwachung des Einzelnen vom Individuum als willkommener Schutz wahrgenommen wird, braucht es eine Bedrohung von aussen. Die nennt man Terrorismus. Jede mehr oder weniger geheim operierende Gesellschaft pflegt daher den Aussenfeind und verwendet ihn als Argument zur Erlangung von noch mehr Macht und finanziellen Ressourcen. Da ist bekanntlich die Versuchung groß, beim Schüren der Angst vor dem Terrorismus ein wenig nachzuhelfen. Diesen wohlbekannten Mechanismus thematisiert Markus Stromiedel in seinem Politthriller  Feuertaufe (Knaur). Die Grenzen zwischen Realität und Science-Fiction werden aufgelöst, die Zukunft hat schon begonnen: Deutschland hat eine Bundeskanzlerin, einen machgierigen Innenminister und subalterne Schergen. Die Bürger wissen nichts von der riesigen Überwachungszentrale  unter dem Berliner Hauptbahnhof. Dass die allermeisten Straßen der Hauptstadt von Videokameras erfasst sind, daran hat man sich längst gewöhnt. Die Wohlhabenden wohnen in bewachten Ghettos, der widerspenstige Pöbel zerstört da und dort ein paar Überwachsungsgeräte und haust in verfallenden Aussenbezirken, die man längst aufgegeben hat, weil es kein Geld für die Erhaltung der einstigen Infrastrukturen gibt. Widerstandsgruppen werden von V-Leuten unterwandert und das bringt Kommissar Paul Selig in die Bredouille. Denn die Freundin seines Sohnes verfolgt ihre eigenen Pläne... Selig ist in diesem Biotop schon fast ein Dinosaurier, denn er glaubt immer noch an einen Rechtsstaat. Als er einen Brandanschlag auf ein von Türken bewohntes Haus untersuchen soll, bringt er mit seiner Hartnäckigkeit Unruhe in die Chefetagen. Praktisch, dass es diese reiskorngroßen Chips gibt, die ganz leicht in einer kleinen Wunde unterzubringen sind. Der solcherart Gekennzeichnete erscheint dann auf der Straßenkarte Berlins als rotes Pünktchen und kann bequem vom Computer ausspioniert werden. Sehr spannender Reißer mit einem Schuss Zynismus, leider recht schlampig geschrieben - ein Lektor hätte da entschlossener drübergehen sollen-, aber das muss einen ja nicht prinzipiell vom Nachdenken abhalten.
 

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