Eine schaurige Moritat aus vergangenen Jahrhunderten ist der
Aufhänger für Christoph Wagners Heimat-Krimi Muj und der Herzerlfresser von
Kindberg (Haymon). Ein alpiner Serial-Killer brachte 1786 eine Reihe von jungen Mädchen um, riss ihnen
das Herz heraus, um es dann zu verzehren, beziehungsweise als Trophäe
aufzuheben. Bemerkenswerterweise wurde der Mann damals nicht zum Tode
verurteilt, sondern auf Veranlassung des aufgeklärten Joseph II in die
Kasematten am Grazer Schlossberg verbracht wo er allerdings bald starb. Seitdem
gibt es im steirischen Kindberg laut Christoph Wagner einen Herzerlfresserweg
und eine Herzelfresserhöhle. Diese touristischen Appetizer erhalten eine
grimmige Aktualität, denn der Taxifahrer des Ortes macht auf einer taufrischen
Morgenwiese eine grässliche Entdeckung. Inmitten dieser riesigen weißen
Plastikballen, in denen Gras vor sich hin gären sollte und die aussehen wie
riesige Insekteneier, liegt auch ein Kuckucksei: eine Leiche in besagtes weißes
Plastik eingewickelt. Ihr fehlt das Herz. Das ist eine Nummer zu groß für den
bodenständigen Bezirksinspektor Muj, ein seiner Selbstbeschreibung nach "kleiner
jenischer Rotzbub aus einer südburgenländischen Scherenschleiferfamilie". Die
Großkopferten in Graz mischen sich denn auch gleich ein und beweisen
Inkompetenz auf allen Linien. Wieder einmal wird die Provinz zum Pfuhl des
Bösen, denn in Kindberg gibt es ein paar verwirrte Jugendliche, die auf dem
Satanisten-Trip sind, - logisch zählen die zu den bevorzugten Verdächtigen.
Entweder Teufelsanbeter oder Skinhead, dazwischen gibt's nichts, wenn man in
der örtlichen Hierarchie der Unterbelichteten was gelten will. Wagners Posse
ist launig, menschlich und hat eine überraschende Auflösung, ein Krimi für die
Sommerfrische!
Ein Bub in einer gottverlassenen Gegend von North Carolina
klappert seit vielen Monaten geduldig Viertel um Viertel seiner Stadt ab, um
eine Spur seiner vor einem Jahr verschwundenen Zwillingsschwester zu finden.
Johnnys Vater hat die Familie verlassen, weil er mit den Schuldgefühlen nicht
umgehen konnte, die seelisch gebrochene Mutter wird von einem sadistischen
Liebhaber gequält und unter Drogen gesetzt. Johnny ist vollkommen auf sich
allein gestellt; er beobachtet die amtsbekannten Pädophilen statt in die Schule
zu gehen, denn er glaubt fest daran, dass seine Schwester noch lebt und
irgendwo gefangengehalten wird. Sein einziger Kumpel Jack ist der Sohn eines
Polizisten, der sich geschmeidig in illegalen Grauzonen bewegt und ein
schreckliches Geheimnis hütet. John Harts grausam überzeichnete Erwachsenenwelt hat wenige
Lichtpunkte. Einer davon ist Detective Hunt. Er weiß recht viel vom Untergrundleben Johnnys, der will sich aber
nicht helfen lassen, weil er jegliches Vertrauen in andere Menschen verloren
hat. Johnny und Jack, das könnte eine Lausbubengeschichte sein, aber statt
Äpfelstehlen geht es hier um Tote, um verrückt gewordene Vietnamveteranen,
Serienmörder, gewalttätige Väter, um die Geschichte North Carolinas mit
Sklaverei und Lynchjustiz. Fast zuviel Spannung für ein einziges Buch. Vor
wenigen Tagen hat John Hart für Das letzte Kind (C.Bertelsmann) den Edgar Award
erhalten.