Mai 2009 Archives

Das raue Leben am Niederrhein

Die fast klassischen Konflikte zwischen einer eingesessenen Dorfbevölkerung und Zugezogenen,  die noch dazu in einer Kommune leben, werden in Kesseltreiben (rororo) ein weiteres Mal exemplarisch durchgespielt. Das etablierte Autorentrio Hiltrud Leenders, Michael Bay und Arthur Leenders siedelt auch diesmal wieder die Schauplätze seines Krimis am Niederrhein an: eine Bauerntochter erbt den Hof der verunglückten Eltern und etabliert dort in den 70ern eine WG, die sich mit einer unorthodoxen Lebensweise und Anti-AKW-Demonstrationen beschäftigt. Die Vergangenheit wird mit der Gegenwart verklammert, als ein Vertreter der Kiesindustrie im Dorf erschossen wird. Aber wollte der Mann wirklich nur den Bauern ihre Äcker abluchsen? Es scheint so, als hätte er viel persönlichere Gründe für seinen Besuch gehabt. Brutalität, Bonzentum und Umweltzerstörung ergeben eine explosive Mischung.
Weitere Bände, die schon länger auf dem Markt sind: Die Schanz (rororo). Am Niederrhein im potentiellen Überschwemmungsgebiet zerkleinert ein Maishäcksler eine Leiche. Der Tote war ein unbeliebter Zugereister, der sich wegen all der Umweltsünden, die am Land so nebenbei passieren, höllisch aufgeregt hat. Die Polizeibeamten bekommen aus den sturen Bauern nichts heraus. Das Dorf hält zusammen und ausserdem steigt das Wasser, da hat man andere Sorgen. Ein Ethno -Krimi  wird das trotzdem nicht. Denn der Ermordete war bei der holländischen Schutztruppe, die dem Massaker von  Srebrenica  tatenlos zugesehen hat. So bekommt der Fall eine internationale Dimension. Ein ländliches Sittenbild, das sich gewaschen hat.
Im Städtchen Kleve inszeniert man ein Historienspektakel fürs Volk: eine Schlacht aus dem 17.Jahrhundert wird nachgestellt, doch mitten im antiken Kampfgetümmel explodiert statt Schwarzpulver Semtex. Es gibt Tote und Schwerverletzte und keinerlei Bekennerschreiben. Auf der Festtribüne standen lokale Politiker und die üblichen Gschaftelhuber. Galt der Anschlag einem von Ihnen im Speziellen? Die Kleinarbeit, Spuren aus den Resten der Explosion zu rekonstruieren, gestaltet sich schwierig, zumal die Polizisten, die an dem Fall arbeiten, selbst Augenzeugen gewesen sind und natürlich nie zugeben würden, dass sie an posttraumatischem Stress leiden. Die Burg (ebenfalls bei rororo) hat einen geradlinigen Plot, der keine besondere Gehirnakrobatik verlangt. Brauchbar für den Urlaub.

Bilder eines Feuers

Der Ich- Erzähler Frank Cassidy ist kein Guter und es ist die Kunst von Michael Collins, seine Figur dem Leser trotzdem  sympathisch zu machen. Frank gehört zu den working poor, er  lebt mal da mal dort, brät Burger, raubt auf freundliche aber effektive Weise alte Männer aus, macht den Nachtwächter auf einem Campus. Er hat keinerlei Aussicht auf sozialen Aufstieg, zumal er  psychisch angeschlagen, immer noch an seinen verdrängten Erinnerungen zu tragen hat. Frank verlor in früher Jugend seine Eltern durch einen Brand. Seine Bilder aus der Vergangenheit sind lückenhaft und widersprüchlich. Als ihn die Nachricht erreicht, dass sein Onkel, ein Farmer irgendwo im Outback von Michigan ermordet worden ist, macht sich Frank Hoffnungen auf ein Erbe und kehrt an den Ort seiner Kindheit zurück. Dort ist er nicht wirklich willkommen. Michael Collins ist wie immer souverän in der Führung seiner Figuren. Nicht totzukriegen (btb) frönt einem leichten Pessimismus was den erreichbaren Zivilisationsgrad der Menschheit angeht, gibt aber doch dem mitfühlenden Individuum eine Chance. Ein feiner Krimi, der in den 70er Jahren spielt die für die Unterschicht auch nicht lustiger waren als die Krisenzeiten heute.

Hüttenzauber mit Kuchenmesser

Weiberabend auf der Schihütte: statt harmonischen Getratsches über Frisuren, Diäten und Fetzen- wie sich's Mann halt so vorstellt -  geht's hier ganz anders zur Sache. Am Beginn des Ausflugs steht die peinvolle Schilderung eines familiären Weihnachtsfestes. Ist derlei schon für normal robuste Naturen ein ziemlicher Alptraum, leidet die Ich-Erzählerin Charlie ganz besonders unter dem gefühligen Supergau. Sie übersteht das Spektakel nur mit Mühe ohne Zusammenbruch, ist sie doch psychisch instabil und hat eine Zeitlang in einer entsprechenden Klinik verbracht. Ihre Dünnhäutigkeit hat zudem ihre Beobachtungsgabe verschärft und zwar bis ins Unerträgliche. Hinzu kommt noch, dass Charlie die Aussicht auf Hüttenzauber mit den Freundinnen keineswegs aufheitert. Hat doch eine von ihnen, Rita, ihren Bruder dazu gebracht, Charlie ohne weitere Erklärung zu verlassen. Charlie hegt daher einen besonderen Hass auf die intrigante Rita und ergeht sich in allerlei Rachephantasien. Die werden nur allzu schnell wahr, denn während eines Stromausfalls auf der Schihütte wird Rita mit einem Kuchenmesser erstochen. Die Wiener Schauspielerin Nora Miedler bedient sich eines klassischen Plots. Eine geschlossene Gesellschaft befindet sich an einem abgelegenen Ort, aus dem keine Flucht möglich ist. Die gegenseitigen Verdächtigungen führen schließlich zum Eklat mit einem unerwarteten Nachspiel. Warten auf Poirot (Ariadne) ist für eine Debütantin nicht ungeschickt gemacht. Und die Boshaftigkeit der scheinbar schwachen und schutzbedürftigen Erzählerin trägt dazu bei, die dialogsichere Geschichte bis zuletzt am Kochen zu halten. 

Der sprechende Garten

Ein junger englischer Student reist in die Toskana. Er soll dort eine wissenschaftliche Arbeit über einen antiken Garten verfassen. In der Gastfamilie Docci am herrschaftlichen Landgut wird er gut aufgenommen; der Garten mit seiner Statue einer Flora und weiterem marmornem Personal, einem Amphitheater, einer Grotte, Hecken und Terrassen und einer Kapelle vermittelt eine leicht unheimliche Atmosphäre, kann aber von Adam Strickland zunächst nicht interpretiert werden. Der Zweite Weltkrieg ist erst seit einigen Jahren zuende. Überall sind noch alte Rechnungen zu begleichen; innerhalb der Familie Docci gab es sowohl Anhänger des Faschismus, die mit den Deutschen kollaborierten als auch linke Widerstandskämpfer. In den letzten Kriegstagen hat sich  eine Tragödie ereignet, bei der der erstgeborene Docci getötet wurde. Adams Neugier befördert die Feindseligkeiten innerhalb der Familie und führt schließlich zu einer unerwarteten Kulmination.
Mark Mills, studierter Historiker und Kunsthistoriker breitet in Die siebte Stufe (Blessing) sein Wissen  über historische Gärten aus, was auch der hauptsächliche Reiz dieser Geschichte ist. (Allerdings: Wer sich ernsthaft für das „Lesen" antiker Gärten interessiert, muss sich an Simon Schamas grandioses Werk „Der Traum von der Wildnis" bei Kindler halten).

Verhängnisvoller Bauarbeiter

Sie ist Holländerin und will sich mit ihrem Mann einen Traum verwirklichen: ein Haus in Südfrankreich wo es warm, die Landschaft schön ist und die Lebensqualität besser als in den übervölkerten Niederlanden. Man kauft ein altes, sehr reparaturbedürftiges Herrenhaus das Simone später in ein kleines Hotel verwandeln will. Es rückt ein Bautrupp an, darunter ein Kerl, der Simone den Schlaf raubt. Schön jung und sexy. Simone, die in ihrer neuen Heimat noch keine Freunde gefunden hat und sich auf der Dauerbaustelle vernachlässigt fühlt, verliebt sich in ihn. Das wird alles ein wenig langatmig aber einfühlsam geschildert; das heimliche glück währt jedoch nicht lang, denn ein Erpresser versetzt Simone in Panik. Wie wird sie sich aus dieser üblen Lage befreien? Und steckt ihr Lover womöglich mit in dem Komplott? Zwischen Baumarkt und Strand spielt die gefährliche Liebschaft von  Esther Verhoefs Thriller Der Geliebte (btb): taugliche Ferienleküre. 

Spuk im Apfelgarten

An sich kann so etwas fürchterlich ins Auge gehen: die Kombination Krimi und Esoterikgewabere. Der Brite Phil Rickman schafft es jedoch, Kriminelles und  Übersinnliches zu einem Ganzen zu verschmelzen. Seine Serie mit der Pfarrerin Merrily Watkins ist in England sehr erfolgreich. Der erste Band, Frucht der Sünde (rororo) ist nun auf Deutsch erschienen. Die Geschichte  beginnt auf dem Land in Herefordshire, einem Dorf namens Ledwardine, in dem sich die Einheimischen dem Diktat der zugewanderten Betuchten aus der Stadt mit mäßigem Erfolg entgegenstemmen. Das Dorf ist reizend herausgeputzt, so wie sich die Städter das Landleben in vergangenen Zeiten so vorstellen, alte Häuser wurden renoviert, alles ist behübscht und voller Souvenierläden. Die Cidre-Produktion, die längst nicht mehr existiert, wollen die Neuzugezogenen auch wieder beleben. Dazu noch jede Menge alter Bräuche. Aber schon der erste Folkloreabend in einem alten Apfelgarten geht ganz schauerlich zuende. Mitten drin in den Kalamitäten findet sich Merrily Watkins, die diese Gemeinde als Seelsorgerin übernehmen soll, begleitet von ihrer pubertierenden Tochter Jane, die zu Visionen neigt. Ja, der Apfelgarten hat etwas Besonderes, Jane ahnt das. Nur Merrily stemmt sich dagegen, weil ihre christliche Prägung ihr allzu heidnische Geisterseherei nicht erlaubt. Ein schwuler Regisseur macht in Kulturbelebung: er gräbt eine hässliche Geschichte aus dem 16. Jahrhundert aus. Damals war ein Pfarrer von Ledwardine der Hexerei und möglicherweise auch homosexueller Neigungen bezichtigt worden und hatte sich, bevor die Häscher kamen, in besagtem Apfelgarten erhängt. Das Dorf will gar nicht gern mit solchen Dingen konfrontiert werden, zumal die Vorfahren der alteingesessenen Gutsbesitzer in diese finstere Geschichte verwickelt waren. Die fein ausgewogene Balance zwischen Satire, Krimi und Spuk im Pfarrhaus entwickelt einen eigenen Ton: die Landpartie lohnt sich.

Amüsante Sammlung

Zur Praxis ein bisschen Theorie: Nein, das ist keinesfalls langweilig oder unverständlich! Ganz im Gegenteil. Das Krimijahrbuch2009, herausgegeben von Christian Bacher, Ulrich Noller und Dieter Paul Rudolph (Pendragon) vereinigt amüsante Analysen, Interviews - von Manfred Wieninger  bis Donald Westlake-, Kurzrezensionen, Einblicke in die polnische Krimilandschaft, Erlebnisse eines Krimi-Sammlers und vieles mehr. Hier werken prominente Autoren und Kritiker zusammen und man merkt, sie haben Spaß and der Sache - und der überträgt sich auf den Leser.

Ein Quotenhit

Vorweg: Die Totgesagten (List) gehören nicht zu den allerbesten Krimis der schwedischen Autorin Camilla Läckberg. Aber da sie  sowieso weit über dem Durchschnitt angesiedelt ist, reicht das noch immer für ein gepflegtes Lesevergnügen. Ein seltsamer Verkehrsunfall, ein verhindertes Coming-Out, ein Ex-Ehemann mit Machoallüren, daraus besteht ein Erzählstrang. Ein anderer schildert  boshaft und anschaulich was passiert, wenn das Image eines verschlafenen Kaffs durch eine Reality-Show "aufgewertet" werden soll. Und das geht so: "Wir bringen einige beschränkte und mediengeile Jugendliche  zusammen, flößen ihnen massenhaft Alkohol ein und  stellen ringsherum Kameras auf." Blöd, dass eine der unterbelichteten „Stars" in ebendiesem Kaff  tot in eine Mülltonne gestopft wird. Oder vielmehr gut. Denn gerade das bringt Quoten. Die Zuschauer wollen schließlich miterleben wie die Dumpfbackengruppe sich gegenseitig verdächtigt und sich weiter zudröhnt. Gegen diese Mechanismen haben Patrick Hedström und seine neue Partnerin Hanna Kruse wenig Chancen, ausserdem müssen sie einen Serienkiller aufspüren, der sich mit Märchentexten auskennt. Das Ganze ist ein wenig inkonsistent und das Ende fast zu gefühlig; erst in den allerletzten Sätzen wird dem romantische Rosa etwas dunklere Farbe beigemischt.


 

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